Zukünftige Vergabe öffentlicher Aufträge Sachsen-Anhalt im Widerspruch zum europäischen Recht

Das im Entwurf vorliegende Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Land Sachsen-Anhalt steht mit seinen Tariftreueregelungen im Widerspruch zum europäischen Recht.
Der EuGH hat sich im Jahr 2008 mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Vorgaben zur Tariftreue mit dem Europäischen Recht vereinbar sind. Das Gericht entschied im sog. „Rüffert-Urteil“, dass z. B. die niedersächsischen Regelungen zur Tariftreue gegen Vorgaben der Entsenderichtlinie 96/71/EG verstoßen und in die Dienstleistungsfreiheit eingreifen. Der Schutz der Arbeitnehmer kann nicht als Rechtfertigungsgrund für diesen Eingriff herangezogen werden. Begründet wird dies damit, dass die nach dem Landesvergabegesetz anzuwendenden Tarifverträge nicht entsprechend der Vorgaben der Entsenderichtlinie allgemein verbindlich erklärt worden seien und die Tariftreuevorgaben nur für den Teilbereich der Vergabe öffentlicher Aufträge gelten würden.
Mit diesem Urteil hat der EuGH den damaligen Tariftreueregelungen in den Vergabegesetzen einzelner Bundesländer wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit die europarechtliche Grundlage entzogen.

 

Die mit dem „Rüffert-Urteil“ eingeschlagene Linie hat der EuGH mit der späteren „Luxemburg- Entscheidung“ bestätigt. 
Im Gegensatz dazu wird nun in Sachsen-Anhalt versucht, ein Vergabegesetz mit erschwerenden Regelungen für Unternehmen und nicht beherrschbaren verwaltungstechnischen Aufwendungen in die parlamentarische Diskussion einzubringen. Statt den Bedenken des EuGH durch eine restriktive Handhabung von Tariftreuevorgaben Rechnung zu tragen, sollen die Bieter mit einem Sammelsurium von zusätzlichen Anforderungen – von Tariftreue, über ortsübliche Entgelte bis hin zu besonderen Tarifvorgaben für den öffentlichen Personennahverkehr – konfrontiert werden.
Wir empfehlen der Landesregierung zur Kenntnis zu nehmen, dass entgegen aller Bestrebungen z. B. Bayern sein Bauaufträge-Vergabegesetz wegen Unvereinbarkeit der Tariftreueregelung mit europäischem Recht aufgehoben hat.
Die aktuellen Bestrebungen derartiger Landesregelungen zur Tariftreue im Vergaberecht sind in mehrfacher Hinsicht bedenklich: Die in dem bisher bekannt gewordenen Entwurf für das Landesvergabegesetz enthaltenen Zielsetzungen – Sicherung von Tariftreue, Mindestarbeitsbedingungen und sozialen Standards – sind nicht Aufgabe des Vergaberechts. 
Das Vergaberecht dient der transparenten Versorgung der öffentlichen Hand mit Gütern und Dienstleistungen und hat sich in erster Linie an Aspekten der Wirtschaftlichkeit zu orientieren. Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit muss das bestimmende Element der Auftragsvergabe bleiben und darf nicht durch zusätzliche Kriterien verwässert werden. Anderenfalls wird das Vergaberecht zu einem politischen Steuerungselement. 
Die Berücksichtigung vergabefremder Aspekte im Vergaberecht verfälscht den Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot zu Lasten der öffentlichen Haushalte und benachteiligt insbesondere den Mittelstand.
Mit der Einführung von Tariftreuevorgaben unabhängig des AentG besteht die Gefahr, dass zusätzliche bürokratische Belastungen für Unternehmen und Verwaltung geschaffen werden.
Die mit der Einführung zusätzlicher Vergabekriterien zur Tariftreue notwendige Intensivierung der Prüfungs- und Kontrolltätigkeit belastet zudem den öffentlichen Haushalt zusätzlich und die fachgerechte Prüfung hinsichtlich der tariflichen Beurteilung ist fraglich. 
Es besteht die Gefahr, dass zahlreiche Bieter aufgrund der bürokratischen und kostenmäßigen Belastungen durch Regelungen zur Tariftreue nicht mehr wie bisher an öffentlichen Ausschreibungsverfahren teilnehmen können. Im Übrigen ist eine nicht vorhandene Tariftreue kein Indiz dafür, dass nicht tarifgebundene Unternehmen ihren Mitarbeitern keine Entgelte in angemessener Höhe zahlen. Im Gegenteil, es gibt genügend Unternehmen, die sogar Entgelte zahlen, die über den geregelten Tarifverträgen liegen. Wir raten dringend dazu zur Kenntnis zu nehmen, dass weniger als ein Drittel aller Unternehmen und aller Beschäftigten Sachsen-Anhalts keinem Flächentarifvertrag unterliegen, aber sehr wohl betrieblich Tarife anwenden. Branchenbezogene Differenzierungen sind selbst verständlich zu berücksichtigen.
Die allgemeine Ertragslage der Unternehmen würde sich weiter verschlechtern und zwangsläufig auch Arbeitsplätze gefährdet werden, wenn diese Unternehmen von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen wären. Das kann und darf nicht das Ziel der Landesregierung Sachsen-Anhalts sein. 
Es ist schließlich zu befürchten, dass für Unternehmensansiedelungen der Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt gegenüber anderen Bundesländern an Attraktivität verliert. Aber gerade Unternehmensansiedelungen werden dringend benötigt, denn nur hierüber kann eine nennenswerte Zahl neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. 
Die Gesetzgebungskompetenz des Landes Sachsen-Anhalts für Mindestlöhne im Vergaberecht ist fraglich.
Obwohl zwischenzeitlich durch CDU und SPD vom Mindestlohn Abstand genommen wird, soll trotzdem auf arbeitsrechtliche Aspekte hingewiesen werden.
Gesetzliche Vorgaben für den Arbeitslohn gehören zum Arbeitsrecht und fallen in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. 
Mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und dem Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG) hat der Bund bereits abschließend Regelungen zu Mindestlöhnen erlassen (vgl. BayVGH vom 3. Februar 2009, 111-IX-08). Beim Vollzug eines Landesgesetzes mit einer Lohnvorgabe können sich deshalb Überschneidungen mit den nach dem   AEntG und MiArbG erlassenen Rechtsverordnungen ergeben. Dies soll Art. 72 Abs. 1 GG gerade verhindern. Lohnvorgaben werden zum politischen Spielball.  Bedenklich ist aber auch ein erhebliches verfassungsrechtliches Defizit: der in Art. 9 Abs.3 GG garantierten Tarifautonomie der Sozialpartner wird keine Rechnung getragen. Die vorgesehene Tariftreueerklärung greift damit nicht nur in die Koalitionsfreiheit der nicht tarifgebundenen Unternehmen, sondern auch in die Koalitionsfreiheit der tarifgebundenen Unternehmen ein. Bisher finden Regelungen hinsichtlich Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) im Gesetzentwurf keine Berücksichtigung, deshalb ist der Gesetzentwurf um Regelungen hinsichtlich Werkstätten für behinderte Menschen zu ergänzen.